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      Im Wagen von einer Fami­li­en­fei­er zurück­fah­rend ent­stand die Idee zu die­sem Roman. Nach dem ers­ten erns­ten Buch, soll­te er leicht und beschwingt sein. Er ist kei­ne Fami­li­en­ge­schich­te und will es auch gar nicht sein, es ist ein Buch mit Geschich­ten aus einer Fami­lie, epi­so­den­haft chro­no­lo­gisch anein­an­der gereiht.

      Die Ver­bin­dun­gen inner­halb der Fami­lie sind eigent­lich nicht zu durch­schau­en, zu kom­plex ist das Geflecht der Bezie­hun­gen. Kei­ner hat den Über­blick, und viel­leicht auch der Autor nicht? Dem wird näm­lich das gan­ze Dra­ma der Fami­li­en erzählt und je absur­der und unglaub­wür­di­ger sich das Gesche­hen ent­fal­tet, des­to mehr schwankt er zwi­schen Ver­wir­rung aber auch Bewun­de­rung für den Reich­tum an Geheim­nis­sen, Lei­chen im Kel­ler u.ä., kurz: für die Viel­falt an Ereig­nis­sen.
      Taschen­buch 442 Seiten

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      Kapitel 2 – Wie eine Latifundie den Eigentümer wechseln musste

         Der achtzehnte Juni 1908 war ein wunderschöner Spätfrühlingstag. Die Temperatur lag um rund 2,4 Grad Celsius über der jahresüblichen Durchschnittstemperatur. Schon frühmorgens weckten unzählige Vögel durch ihr lautes Gezwitscher. Für die meisten Menschen war es eine Lust aufzustehen und ihr Tagewerk zu beginnen. Die Erinnerung an die amerikanische Tragödie vom sechsten Mai war verblasst. Das Leben ging endlich wieder seinen normalen und langweiligen Gang, und weil keiner ständig an Katastrophen erinnert werden will, war es den Menschen auch recht so. Wochenlang hatte das bestialische Drama die Gemüter bewegt, Zeitungen und Gazetten waren voll davon. Es gab kaum ein Kaffee- oder Wirtshausgespräch, das es nicht zum Thema hatte. Etwas Unglaubliches war jenseits des Atlantiks geschehen, schier unfassbar: Im Bundesstaat Indiana waren am 28. April in Laporte nach dem Brand eines Wohnhauses im Hof neun verstümmelte Leichen gefunden worden, ob männlich oder weiblich ließ sich bei den meisten aufgrund des Verbrennungsgrades nicht mehr feststellen. Belle Guinness, auch genannt Die schwarze Witwe, hatte mittels Heiratsannoncen Männer in ihr Haus gelockt und anschließend heimtückisch ermordet. Am dreizehnten Januar 1907 hatte sie beispielsweise an den Junggesellen Andrew Hilgelien geschrieben: „Keine Frau ist glücklicher als ich. Ich weiß, dass Du kommen und mir gehören wirst. Du, der süßeste Mann der Welt. Ich denke ständig an Dich. Wenn ich Deinen Namen höre, dann ist er mir das schönste Liebeslied. Mein Herz schlägt wild für Dich, mein Andrew, ich liebe Dich. Komm und bleibe für immer.“ Andrew hatte allerdings andere Vorstellungen von für immer. Manche Männer wurden zerstückelt und landeten im Schweinekoben, andere wurden nach einer post mortem Behandlung mit Ätzkalk vergraben. Man konnte Belle nie habhaft werden, sie war einfach verschwunden. Lange Zeit munkelte man, dass sie noch lebe; ein weiblicher Leichnam ohne Kopf wurde im Hof gefunden. Bis heute ist unklar, ob es sich dabei um die Schwarze Witwe handelte. An die vierzig Männer, Frauen und Kinder sollen insgesamt Opfer ihrer Mordlust geworden sein. Sie war übrigens nicht – wie ihr Name nahe legt – Namensgeberin für das berühmte gleichnamige Buch der Rekorde. Nicht die Zahl der Gemeuchelten war das Unfassbare, sondern die Tatsache, dass eine Frau zu so etwas Ungeheuerlichem in der Lage war. Warf es doch bisher hochgehaltene eherne Glaubenssätze glattweg über den Haufen. Die Philosophen gingen unter dem Eindruck der Ereignisse daran, eine neue Anthropologie unter besonderer Berücksichtigung der weiblichen Spezies zu schaffen. Einer der ersten Erklärungsversuche fußte auf dem von Freud im gleichen Jahr veröffentlichten Artikel Über infantile Sexualtheorien, in dem er der Fachöffentlichkeit die Theorie des Penisneides vorstellte. Kurzschlüssigerweise sah man in dem Messer oder Beil, das die Witwe zur Tötung und Zerkleinerung ihrer Männer zum Einsatz brachte, eine Analogie zum aggressiven männlichen Geschlechtsorgan. Die Vorstellung, dass Frauen in dieser brutalen Weise grausam sein können, beschäftigte landauf landab die Gemüter; mancher Ehemann sah sich genötigt, seine Gattin mit anderen Augen zu sehen.
         Die Schlagzeile der Washington Post lautete CRUELTY IS FEMALE?
         Die altehrwürdige The New York Times titelte CRUELTY IS FEMALE!
         Die Los Angeles Times fragte WOMEN - DO WE REALLY KNOW THEM?

         Die Chicago Tribune wiederum wusste WOMEN - NOW WE KNOW THEM!
         Female Monsters? – What we held to be unthinkable has become reality hievte das noch junge Zeitungsorgan Christian Science Monitor als Leitartikel auf die erste Seite.

         Doch die Erregung war allmählich abgeebbt. Nur die Zeitungsredakteure fluchten, weil seit eineinhalb Wochen keine sensationelle Nachricht mehr in ihre Redaktionsstuben geflattert war und sie sich mit dem üblichen, alltäglichen Langweilerkram herumschlagen mussten - keine halbwegs anständige oder aufsehenerregende Schlagzeile mehr auf der ersten Seite. Das Einzige, was über fast hundert Jahre erhalten bleiben sollte, war ein Kinderspiel, das allerdings, wahrscheinlich durch einen Übersetzungsfehler, fälschlicherweise Wer hat Angst vorm schwarzen Mann hieß. Das Kind, das diesen Satz an den Hamburger Landungsbrücken bei der Ankunft eines Überseeschiffes aus den Vereinigten Staaten aufgeschnappt hatte, überhörte schlichtweg das wo und so wurde aus woman man. Der Freude über diese Redensart tat es keinen Abbruch.

         Landrat Ludolf von Lubbe, der durch den Lärm der gefiederten Radaumacher ebenfalls geweckt worden war, genoss es, die Sonne auf seinem Gesicht zu spüren und öffnete langsam und blinzelnd die Augen. Er ahnte noch nicht, dass ihm eine ganz persönliche Katastrophe bevorstehen würde. Er schaute wie jeden Morgen aus dem Fenster und erfreute sich am Anblick des zu seinem Anwesen gehörenden Weihers und der beiden Schwäne, die sich wie immer an seinem Ufer tummelten. Ach, schon wieder ein herrlicher Morgen, was bin ich doch für ein glücklicher Mann, sagte er zu sich und begann sein morgendliches Ritual. Er rekelte sich noch einmal ausgiebig, streckte alle Glieder weit von sich, gähnte tief und war zum wiederholten Male froh über seine Entscheidung, Zimmer und Bett nicht mehr mit seiner Frau zu teilen. Denn gerade eben wollte ihm ein Darmwind entschlüpfen und er entließ ihn ohne die Spur eines schlechten Gewissens in die Freiheit und ohne sich einen xanthippengleichen Kommentar anhören zu müssen. Schlicht: Er genoss die seiner zunehmenden Flatulenz geschuldeten Winde.

         Ja, er war eigentlich ein eindeutig freiheitsliebender Mensch, wenngleich nach außen hin eingefleischter Royalist, konnte er dies widerspruchsfrei integrieren. In seinen Selbstgesprächen verstand er sich nämlich als Anarchist - eine Ansicht, die er niemals öffentlich äußern würde. Er wusste, dass vor rund 80 Jahren Anarchisten den seinerzeit leerstehenden Gutshof besetzt hatten, bis sie schließlich vom neuen Besitzer verjagt wurden. Politisch fühlte er sich hier also zu Hause, ihm gefiel die Verbundenheit des Hofes mit den vertriebenen Rebellen. Man muss allerdings einschränkend bemerken, dass seine Idee der Anarchie eher eine sehr persönliche Ausformung hatte; keiner Autorität gegenüber wollte er gehorsam sein, doch jeder hatte ihm zu Diensten zu sein, jawoll!

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